So, nach einer langen Pause melde ich mich auch mal wieder zu Wort. Die letzten Wochen waren die Hölle, also wirklich. Zuerst war ich in Paris, dann in Berlin, und dann musste ich noch die letzten Klausuren hinter mich bringen. ARGH! Und keine Zeit, um sich irgendwie an den PC zu setzen und weiterzuschreiben...*heul* Danke für die Reviews! Wow, es gibt sogar Leute, die das lesen! *freu* Ah ja, die Songtexte sind von mir, Dead Flowers eben so sehr wie Black Sunshine.

hoellenwauwau - Das ich dich wieder unter meinen reviewern sehe, freut mich unheimlich! Aus der Ich-Perspektive schreiben finde ich gar nicht so schwer...es komtm immer auf die Situation drauf an. Alt und Tenor...es gibt vier verschiedene Stimmlagen, Sopran (das höchste), Alt, Tenor und Bass. Die Bezeichnung wird auch bei Instrumenten verwendet (ich spiel zum Beispiel Es-Alt-Saxophon) und bezeichnet, in welcher Lage ein Instrument klingt. Cath singt Sopran, das ist sehr hoch, die Band braucht aber Alt oder besser noch, Tenor. Wenn sie weitere Fragen haben, lesen sie die Packungsbeilage oder fragen sie ihren Arzt oder Apotheker *gg*

Dornengestalt - Wie schon erwähnt, die Liedtexte sind von mir, ja. Also nicht klauen und damit berühmt werden! (ha-ha, ich lach mich schlapp :P ) Naja, ich hoffe, du bleibst mir als Leser erhalten!

arianna16 - Und noch ein bekannter Name! *freu* Deine Spannung wird ja in diesem Kapitel aufgelöst, also lies schnell weiter! *lacht* Freut mich, dass es dir gefällt, und bei Silver geht's (hoffentlich) auch demnächst weiter!

DARKBLUM

Andrea Göppel


Kapitel II

I don't know why I pulled the trigger

I'm afraid because I liked seeing the blood

I don't know what happened

But I know, I know, that I feel sorry

I didn't want to see the flowers dying

Langsam komme ich wieder in die Wirklichkeit zurück, als ich die letzten Zeilen des Liedes singe. Ich spüre wieder den Regeln, der inzwischen meine ganze Kleidung durchnässt hat und durch mein Hemd sickert. Mein blondes Haar ist feucht und klebt mir im Gesicht – langsam streiche ich es hinter die Ohren. Als ich aufblicke, sehe ich überrascht, dass das Mädchen noch da steht. Sie hat sich umgedreht und blickt mir nun direkt in die Augen.

„Was ist das für ein Lied?"

Ich friere, rubbele ein bisschen an meinen Oberarmen. „Das hab ich selber geschrieben. Ganz neu. Ist für unsere Band."

Sie schweigt, starrt mich nur aus ihren unergründlichen Augen an. Ich habe fast das Gefühl, unter ihrem Blick zu schrumpfen. So ernst, so gejagt, und das, obwohl sie jünger ist als ich. Wahrscheinlich war ihre Vergangenheit auch nicht gerade ein Zuckerschlecken.

„Warum probierst du es nicht einfach aus?", versuche ich sie zu überreden, als mir auf einmal ein neuer Gedanke kommt. „Oder sind deine Eltern dagegen?"

Bei der Erwähnung ihrer Eltern flackern ihre Augen kurz auf, dann blickt sie zur Seite und antwortet mit monotoner Stimme. „Ich habe keine Eltern."

„Oh." Für einen kurzen Moment weiß ich nicht, was ich sagen soll, doch dann macht auf einmal alles Sinn. Der große Rucksack, der gejagte Ausdruck im Gesicht, ihr verstocktes Schweigen.

„Bist du von zu Hause weggelaufen?" Ich beobachte sie sorgfältig und sehe, wie sich ihre Augen weiten. Voll ins Schwarze getroffen.

„Das geht dich nichts an." Aha, sie geht in die Defensive. Auch recht.

„Weißt du, da hast du Recht." Ich trete näher, lächle ihr zu. „Es geht mich nichts. Um ehrlich zu sein – es geht mir am Arsch vorbei, ob du daheim abgehauen bist oder nicht. Was mich interessiert, ist deine Stimme. Wir brauchen dich, und so wie ich es sehe, singst du doch eigentlich gerne. Warum also nicht einfach mit uns zusammen?"

Sie scheint skeptisch, und ich verschränke meine Arme hinter meinem Kopf. „So wie ich es sehe, hast du kein Dach über dem Kopf, oder? Nun, du kannst bei uns wohnen, du musst dir halt nur irgendeinen Nebenjob suchen, um deinen Teil zur Miete beizutragen. Alleine hast du niemals die Chance, irgendwo Arbeit geschweige denn eine Wohnung zu finden, das weißt du ebenso gut wie ich. Du kannst also entweder weiter durch den Regen rennen, unter Brücken schlafen und was weiß ich was tun – oder du kommst zu uns, hast ein Dach über dem Kopf, kannst singen und kriegst sogar etwas zu essen."

Sie fährt sich mit der Hand über die Nase. „Woher weiß ich, dass ich euch trauen kann?"

„Das weißt du nicht.", ich strahle sie an. „Du musst es einfach ausprobieren. Aber besser als auf der Straße zu leben ist es allemal!"

Sie ist unruhig, ich sehe es ihr an. Weiß nicht, was sie tun soll. Hin und hergerrissen. Ich kann sie verstehen, mir würde es genauso ergehen. Ich muss ja schon leicht verrückt erscheinen, einfach so Fremden eine Wohnung anzubieten, ohne nicht einmal ihren Namen zu wissen. Sonja wird mich killen, na ja, aber wir brauchen nun mal diese Stimme….das ist genau das, was ich mir immer vorgestellt habe, und ich bin nicht geneigt, es aufzugeben.

Endlich lächelt sie, ein schiefes, verzerrtes Lächeln, doch auch dieses wirkt Wunder und sie sieht gleich viel weniger düster aus. „Ein Versuch kann ja nicht schaden…."

„Klasse!" Ich schlage ihr auf die Schultern. „Dann komm gleich mal mit! Wie heißt du übrigens?"

Ihr scheint mein Enthusiasmus unbequem zu sein. „Lex. Eigentlich Alexia, aber jeder nennt mich Lex."

„Lex also! Freut mich!" Ich strecke ihr meine Hand entgegen. „Ich bin Cathleen, aber mich nennt man allgemein nur Cath!" Sie nickt, schüttelt meine Hand und folgt mir dann geduldig, als ich aus dem Park hinaus hüpfe. Ich triefe zwar vor Nässe, aber ich kann es nicht lassen, wie blöd zu grinsen, als ich mir vorstelle, wie anders sich die Lieder anhören werden, wenn wir sie zusammen mit Lex einstudieren.

„Und wie alt bist du?"

„Sechzehn."

„Ich bin neunzehn."

„Mir doch egal."

Ihre Manieren sind wirklich nicht die besten, aber damit werden wir schon irgendwie klarkommen. Ich lache sie an, und mache mir nichts aus der Tatsache, dass sie mich nur grimmig anfunkelt. Meine Güte, sie ist noch so jung und schon so verbittert.

Kein Wort fällt mehr zwischen uns, als wir durch die Straßen nach Hause laufen. Die anderen müssten jetzt eigentlich schon zu Hause sein, obwohl, es kann sein, dass Beat länger arbeitet. Ganz sicher ist man sich bei der nie. Wie auch immer, nach einem zehnminütigen Gang des Schweigens erreichen wir endlich das alte Mietshaus, in dem sich unsere Wohnung befindet. Ich stecke meinen Schlüssel ins Schloss und beobachte Lex, die sich neugierig umschaut, aber gleich wieder ein steinernes Gesicht macht, als sie meinen Blick bemerkt.

Wir gehen die Treppen hinauf, und ich überspringe die eine Stufe, die immer so schrecklich knarrt. Sie tritt natürlich genau drauf und zuckt erschrocken zusammen, als ein Geräusch ertöt, das klingt, als ob die Treppe jeden Moment einstürzen würde.

„Bin zurück!" hallt mein Schrei durch den Flur, als ich endlich die Wohnungstüre öffne. Lex zögert auf der Schwelle, aber ich schiebe sie ungeduldig bis zur Küche. Sie versteift sich unter meinem Griff, ein deutliches Zeichen dafür dass körperliche Nähe ihr unangenehm ist, aber in dem Moment ist mir das egal. Triefend nass wie ich bin, stiefle ich an den Küchentisch, meine Entdeckung mitzerrend, und strahle Sonja an, die in aller Seelenruhe dort sitzt und einen Kaffee trinkt.

„Hiya!" Ich zerre einen Stuhl aus der Ecke und drück in Lex in die Hände. „Komm, setz dich!" Sie tut, wie ihr gesagt, und beäugt Sonja misstrauisch. Diese lässt sich allerdings nicht aus der Ruhe bringen, sondern streckt ihr nur die Hand entgegen. „Hallo, ich bin Sonja."

Zögernd ergreift sie die Hand. „Alexia."

Auch ich setze mich zu der Runde, während mir unsere Älteste einen fragenden Blick zuwirft. „Ich sollte es vielleicht besser einmal erklären.", fange ich an und schenke mir ein Glas Saft ein.

„Das solltest du, ja." Wie kann diese Frau immer nur so ruhig bleiben? Es ist faszinierend – wir sollten mal ausprobieren, wie lange es braucht, bis auch ihre Geduld zu Ende ist. Obwohl es dann wahrscheinlich besser wäre, weit, weit weg zu sein, bevorzugt im Himalaja.

„Also, ich war auf meinem üblichen Weg nach Hause, als ich sie getroffen hab." Ich zeige mit meinem Daumen auf Lex, die sich nicht gerade wohl in ihrer Haut zu fühlen scheint. „Eigentlich hab ich eher ihre Stimme getroffen, denn plötzlich hörte ich jemanden singen. Hey, dachte ich mir, das ist gar nicht mal so schlecht, eigentlich sogar ziemlich gut, und ich bin dem nachgegangen. Sie hat die perfekte Stimme für unsere Band; tief und kräftig, und sie kann gut singen, ich hab's selber gehört. Mit einiger Übung könnte daraus was werden!"

„Und deshalb hast du sie mitgebracht?"

„Yep."

Sonja dreht sich zu Lex und betrachtet sie abschätzend. „Ich denke mal, du bist noch keine achtzehn."

Sie schüttelt den Kopf. „In einem Monat werde ich siebzehn."

„Würdest du in unserer Band mitmachen?"

„Ich weiß nicht…sie sagte, dass ich dann mit euch zusammen wohnen kann." Die Aussage hängt unausgesprochen in der Luft, aber Sonja kann eben so schnell sein wie ich, wenn es um solche Dinge gehen. Ihre Lippen formen ein leichtes Oh.

„Und was ist mit deinen Eltern?"

Alexia's Gesicht verhärtet sich. „Meine Eltern sind unwichtig."

„Aha." Sonja nickt und dreht sich zu mir. „Ausreißerin?"

„Ich denke schon." Meine gute Laune verschwindet, als ich den ernsten Ausdruck auf ihrem Gesicht sehe. „Wieso, was ist?"

Sonja fährt sich über die Augen. „Dir ist doch hoffentlich klar, dass wir keine Ausreißerin aufnehmen können – wir kriegen Ärger mit der Polizei, sie ist ja noch minderjährig! Außerdem wird sie irgendwann Heimweh bekommen und uns wieder verlassen, und dann stehe wir blöd da!"

Ich blicke zu Lex und habe den Eindruck, dass sie wahrscheinlich alles Mögliche bekommen würde, Heimweh aber am wenigsten dazu zählt. „Wie lange bist du denn schon auf der Flucht?"

Sie verschränkt die Arme, tut ihr möglichstes, um ungerührt und erwachsen zu wirken, aber ich kann die Angst und Unsicherheit in ihren Augen flackern sehen. „Über ein Jahr."

Das erklärt natürlich einiges. Ein Jahr auf der Flucht, das würde jeden so aussehen lassen wie Lex. Ich wende mich zu Sonja. „Da, siehst du, wenn sie es schon ein Jahr ausgehalten hat, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder zurückkehrt, sehr gering, oder nicht? Und die Polizei wird auch nicht mehr wirklich nach ihr suchen. Wir müssen halt vorsichtig sein!"

Sie schüttelt den Kopf. „Du machst dir das zu einfach, Cath!"

Ihre Stimme ist sanft, als sie sich wieder dem Mädchen zuwendet. „Warum bist du denn von Zuhause fort gelaufen?"

„Das geht niemanden etwas an!" Innerhalb von Sekundenbruchteilen sind ihre Wände oben und sie funkelt uns beide aus dunkelgrünen Augen an.

„Aber wenn du bei uns wohnen willst, möchten wir wenigsten etwas über dich wissen. Ich frage nicht nach Details, ich möchte nur den Hauptgrund wissen. Du wirst nicht bei uns wohnen können, wenn du irgendetwas mit Drogen zu tun hast, das musst du verstehen."

Sie zögert, schüttelt dann den Kopf. „Nein…nein, nicht so was. daheim…wollte man mich nicht mehr. Ich war überflüssig, war Ballast, deshalb bin ich gegangen. Sie sind wahrscheinlich sowieso glücklicher ohne mich."

Ich habe den Eindruck, dass da noch mehr dahinter steckt, will aber meinen Finger auf keinen wunden Punkt legen. „Komm schon Sonja, wir können es doch probieren. Schaden kann's nicht, und sie kann sich ja einen Nebenjob suchen, damit sie etwas zur Miete dazu zahlt."

Sonja seufzt und überlegt. „Na gut. Wir probieren's erst mal – für eine Woche – dann sehen wir weiter. Sie schläft in deinem Zimmer, Cath, immerhin hast du sie angeschleppt."

Der Gedanke, mein kostbares Zimmer mit jemandem teilen zu müssen, drückt meine Stimmung zwar gewaltig, aber alles in allem kann ich doch zufrieden sein. Lex scheint das alles mit stoischer Ruhe hinzunehmen, aber ich kann einen Funken der Erleichterung in ihren Augen flackern sehen.

„Hast du Hunger?" Ich greife zum Schrank und hole den Brotkorb.

Hungrig blickt sie auf das Essen. „Schon."

„Na dann greif…", will ich sie gerade auffordern, als ein lauter Knall uns alle zusammenfahren lässt. Jemand betritt unsere Wohnung mit mehr Lautstärke als unbedingt notwendig. Gleich darauf steckt auch schon Beat ihren Kopf zur Küchentür herein. Ihre schwarzen Dreads mit den bunten Strähnen fallen ihr wild ins Gesicht, als sie uns drei einen düsteren Blick zuwirft.

„Die Todgeweihten sind aus den Gefilden der Hölle zurückgekehrt", grüßt sie uns, ohne eine Miene zu verziehen.

Ich unterdrücke das plötzliche Verlangen, laut und tief zu seufzen. „Lex, darf ich dir das letzte Mitglied unserer Band vorstellen? Das ist Beat, unsere Schlagzeugerin. Sie ist etwas…eigenwillig."

„Beat?"

Ich muss lachen. „Oh, das ist nur ihr Spitzname. Eigentlich heißt sie Dorothea, aber der Name ist so scheußlich, dass wir uns etwas anderes überlegen mussten. Früher hieß sie Do, aber Beat schien gerade so passend, wegen Schlagzeug und so."

„Aha." Alexia scheint sich nicht gerade wohl in ihrer Haut zu fühlen.

Währendessen hat sich Beat auch zu uns an den Tisch gesetzt und beäugt unser neuestes Mitglied mit skeptischen Blicken. „Fragezeichen?", meint sie zu mir.

„Das ist Lex, unser neues Mitglied. Sie wird unsere Sängerin sein.", erkläre ich. Irgendwann gewöhnt man sich an Beat's seltsame Art, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Wahrscheinlich ist Wahnsinn ansteckend.

Ein Grinsen fliegt über das gebräunte Gesicht. „Super!" Beat ergreift Lex's Hand und schüttelt diese. Das verwirrte Mädchen lässt dies alles über sich ergehen und wirft mir einen halb verängstigten, halb wütenden Blick zu. Ich lächle nur, wohl wissend, was sie empfindet – mir erging es früher nicht anders. Aber gleich ist der Ausdruck der Unsicherheit wieder hinter ihrer Maske verschwunden und sie kaut hungrig an ihrem Brot.

„Nachher zeig ich dir noch deinen Schlafplatz und dann proben wir, einverstanden?"

Sie nickt nur. Nicht gerade sehr redegewandt, aber so lange sie die Worte singt, ist mir das eigentlich relativ egal. Nachdem wir unser Essen in relativ normaler Stimmung beendet haben, stehe ich auf und führe Lex zu meinem Zimmer. Mir ist aufgefallen, wie ausgehungert sie zu sein schien – das Leben auf der Straße ist nicht das Beste, und ich schaudere bei dem Gedanken, als ich mich erinnere, dass auch ich schon kurz davor stand.

„Also, du kannst da drüben schlafen, auf der Couch, ich muss nur mein Zeugs davon runterkriegen. Wohnungsschlüssel kriegst du erst mal keinen, Sonja will sicher sein, dass man dir trauen kann. Ich denke, du verstehst das. Das Klo ist am Ende des Flures. Das wäre eigentlich alles zu unserer kleinen Wohnung; proben tun wir woanders, um nicht die Nachbarn zu stören. Da gehen wir ja gleich hin…"

Schweigen breitet sich im Zimmer aus, als sie sich langsam zu mir umdreht und mich anstarrt. Wieder fallen mir ihre tief in den Höhlen liegenden Augen auf. Ihre Haut ist bleich, fast wächsern, bis auf den leichten Schmutzfilm, der sie umgibt. Wie lange hat sie wohl auf der Straße gelebt? Schwer zu sagen, aber bestimmt mehr als ein paar Tage. Ich selbst habe nicht die rosigste Vergangenheit, doch ich habe Glück gehabt, und irgendwie verspüre ich Mitleid beim Anblick des Mädchens, das ein ähnliches Schicksal hat wie ich.

„Warum?" fragt sie da, meinen Gedankenfluss unterbrechend. „Warum tust du das?"

Ich runzelte meine Stirn. „Was?"

„Na, das!" Sie gestikulierte in das Zimmer. „Ihr nehmt mich auf, obwohl du mich nur einmal singen gehörst hast. Einfach so, ohne nach meiner Vergangenheit, meinem Ausweis oder was-weiss-ich zu fragen!"

„Naja…" Ich fühle mich blöd, da ich selber bemerke, dass mein Verhalten wohl nicht der Norm entspricht. Mist, irgendwas von Beat hat wohl doch abgefärbt. „Sagen wir es mal so…erstens brauchen wir unbedingt noch ein viertes Mitglied und da greift man halt nach Strohhalmen und zweitens hab ich eine Art…äh….Sympathie für Leute, die von Zuhause wegrennen. Wenn du Scheiße baust, fliegst du raus, zimperlich sind wir da nicht. Aber erstens sollte jeder eine Chance haben, und zweitens vertraue ich meinem Gefühl."

„Ihr seid merkwürdig." Lex beäugt mich kritisch und lässt sich dann auf die Couch sinken. „Aber immer noch besser, als unter 'ner Brücke zu pennen."

„Genau!" Ich öffne das Fenster ein klein wenig. „Aber ich rate dir eins: bitte dusch, bevor wir heute Nacht schlafen gehen. Du muffelst."

Ein klein wenig Erröten. Aha, sie ist also doch menschlich, was für eine Erleichterung! Ich grinse sie an und hole meine Gitarre aus der Ecke. „Kannst du eigentlich ein Instrument spielen? Vielleicht Gitarre?" frage ich hoffnungsvoll. Das wäre natürlich perfekt, denn zwei Gitarren – oder besser, eine E-Gitarre plus Bass – sind irgendwie ein bisschen wenig. Doch Lex schüttelt bloß den Kopf. „Ich habe mal Violine gelernt, aber Gitarre hab ich noch nie gespielt."

„Geige? Och…" Damit können wir nun wirklich nichts anfangen, und ich seufze enttäuscht. „Naja, ein Versuch's war's wert."

Ich hänge meine Gitarre über die Schulter und schnappe meine Noten. „Wir fahren jetzt dann zur Probe, ja? Du solltest dir vielleicht schon einmal ein paar Liedtexte einprägen, obwohl wir heute eher für den Auftritt am Samstag proben. Da spielen wir nur populräre Sachen, nicht unsere eigenen Songs." Ich seufze wieder. „Die Leute akzeptieren unsere Musik einfach noch nicht. Hach, das Leben ist schwer."

Ich wühle durch meinen Schreibtisch und gebe Lex ein paar Kopien von unseren Liedern. „Vielleicht spielen wir heute auch ‚Dead Flowers' an, da bin ich aber noch nicht sicher. Kommt drauf an, wie gut die Probe klappt und ob die anderen Lust haben."

Wenig später quetschen wir uns alle in Sonja's kleinen, klapprigen, hellblauen Ford und düsen ab, in Richtung Schrottplatz, auf dem eine alte Garage steht, die wir – dank Beat's Vater – benutzen dürfen, um zu proben. Das ist echt ein wahnsinniger Glücksfall, weil es da keinen gibt, den unsere laute Musik stört, und wir können proben, so lange wir wollen.

Ist aber auch das einzige Mal, das wir Glück haben, denn ansonsten ist unser Leben nicht gerade rosig verlaufen. Schon über ein Jahr ist vergangen seit der Gründung DARKBLUMs, und noch immer kein Erfolg in Sicht. Das hat sich alles immer so einfach angehört, man witrd entdeckt, dann nimmt man eine CD auf, und schwuppdiwupp ist man im Showbusiness und hat tausend kreischende Fans am Rockzipfel.

Der einzige Fan, den wir im Moment haben, ist Marvin, Sonja's Freund, der aber nur deshalb zu unseren Konzerten kommt, weil er Sonja anhimmelt und vergöttert. Somit ist er also kein richtiger Fan.

Ach ja, ein Popstar zu werden, das ist richtig harte Arbeit. Manchmal frage ich mich, ob ich wohl auf ewig als Kellnerin arbeiten muss…bei dem Gedanken wird mir immer ganz schlecht. Ich habe mir, damals an jenem verhängnisvollen Tag, versprochen, dass ich alles tun würde, um mein Ziel zu erreichen und ich kann jetzt nicht aufgeben. Dann könnte ich selbst niemals mehr in den Spiegel schauen!

Nein. Nein. Nein. DARKBLUM wird berühmt, denn wir haben das Potential dazu. Ich weiß es, ich fühle es. Wir brauchen nur eine ordentliche Portion Glück, und wir dürfen niemals aufgeben…

Neben mir sitzt Lex und liest sich die Texte durch, die ich ihr gegeben hab. Momentan ist sie bei ‚Dead Flowers' und ein seltsamer Ausdruck erscheint in ihren Augen. Fast hätte ich gesagt, sie fängt gleich an zu weinen, wäre ihr Gesicht nicht so unnahbar gewesen. Um was ging der Text denn noch mal? Ach ja, irgendjemand wurde erschossen. Oder so. Mensch, warum schreib ich immer so kranke Liedtexte? Sind düster…aber wenn ich schreibe, dann kommt so was raus, ich kann mich nicht dagegen wehren. Muss wohl meine Muse sein.

Lex schüttelt den Kopf und legt das Blatt beiseite. Ich linse ihr über die Schulter und kann sehen, dass sie nun einen unserer ersten Songs durchliest, Black Sunshine. Ich muss grinsen; an diesem Song haben wir ewiglang rumgefeilt, und immer noch sind manche Reime nicht in Ordnung. Alles in allem bin ich aber ganz stolz; es ist verdammt schwer, Reime in einer anderen Sprache zu finden und oft genug liegt das Wörterbuch direkt neben meinem Schreibtisch.

Feel the sun, burning with black light

Into your soul, your heart, your dreams

Black sunshine, cruel, it's useless to fight

When the black shines, nothing is as it seems

Eigentlich wollte ich damals ein Lied schreiben, das nur aus Bildern besteht, und es sollte ziemlich schwer sein, die eigentliche Geschichte zu erraten. Sonja ist aber der Meinung, dass es ziemlich offensichtlich ist. Es sei ja wohl klar, für was die schwarze Sonne stehe, hatte sie behauptet, und ich war ziemlich beleidigt gewesen. Irgendwann hab ich aber eingesehen, dass es wohl doch noch eine Weile dauern wird, bis ich mit den Großen mithalten kann.

The girl is walking down the street

Alone in the shadows, in the burning black light

She's crying, she's sobbing, she continues to weep

Because nothing is left, what a pitiful sight

Once she was beautiful, nice, and kind

Had many friends, was never alone

Until the sun came and destroyed her mind

Until the sun succeeded and took her soul

Ich drehe meinen Kopf weg, während Lex den Text zu Ende liest und dabei leise die Lippen bewegt, als ob sie schon ausprobiert, ihn zu singen. Trotzdem zieht mir ihr Geruch in die Nase; sie stinkt nach Schweiß, Rauch und Schmutz, und ich muss mich zusammennehmen, um nicht die Nase zu rümpfen. Klar, wenn ich auf der Straße gelebt hätte, würde ich auch nicht besser riechen, aber trotzdem ist es unangenehm, und ich bin froh, dass sie nachher eine Dusche nehmen wird.

Es ist ziemlich eng in unserem Auto, müssen wir doch zwei Gitarren, Keyboard und sonstigen Krimskrams mitschleppen. Gott sei Dank können wir die ganzen Verstärkeranlagen und Beat's Schlagzeug in der Garage lassen, das hätte Sonja's Ford wirklich nicht mehr verkraftet.

„So Leute, auf geht's!" meint Beat vergnügt, während Sonja in die Schlaglöcherübersäte Einfahrt des Schrottplatzes einbiegt. Ich kann schon das Funkeln in Beats Augen sehen – sie freut sich darauf, wie eine Verrückte auf ihr Schlagzeug einzutrommeln. Naja, ich freu mich ja auch, wieder ins Mikrophon singen zu können. Wie sich Lex wohl macht?

Wir quälen uns aus dem engen Auto und schultern unser Gepäck. Die Garage ist eine Doppelgarage, die Beat's Vater (dem der Schrottplatz gehört) einmal gebaut hat, um seinen Laster drin unterzubringen. Da er seinen LKW aber schon länger nicht mehr hat, steht sie leer, und er hat uns erlaubt, gegen ein geringes Entgelt die Garage zu benutzen. Im Verglich dazu, was man für andere Proberäume zahlt, ist das echt spottbillig.

„Auf, auf, auf, Mädels, wir haben Arbeit zu erledigen!" Sonja treibt uns in das Innere, wo wir auch sofort beginnen, aufzubauen. Beat überprüft ihr Schlagzeug, während Alexia etwas verloren in der Gegen herumsteht.

„Schnapp dir einfach ein Mikro und warte, bis wir fertig sind.", erklärt Sonja, während sie ihren E-Bass stimmt. „Heute hast du noch nicht viel zu tun, weil wir erst einmal für Samstag üben, aber ein oder zwei Stückchen aus unserem Repertoire werden wir schon anspielen."

Lex nickt bloß. Ich glaube, sie ist ein bisschen überrumpelt von alldem. Trotzdem greift sie sich ein Mikrofon und lehnt sich gegen die kahle Betonwand.

„Also, mit was fangen wir an?"

„Final Countdown!" kräht Beat. Klar dass sie wieder das Stück haben will, bei dem sie auf ihr Schlagzeug einhämmern kann, dass wir alle nachher taub sind.

„I will survive!" rufe ich. Das ist nämlich eins meiner Lieblingslieder – wegen Text und Melodie. Das hat so richtig Schwung.

„Okay, dann spielen wir ‚My heart will go on'." erwidert Sonja in aller Selenruhe, und mein Enthusiasmus verpufft im Nichts. Vertraue darauf, dass Sonja mit dem langweiligsten, langsamsten aller Stücke anfängt. Nicht, dass ich etwas gegen das Lied hätte – es ist sehr schön, und üblicherweise auch ein Renner beim Publikum, aber wenn man vor Energie auf und ab wippt, will man halt auch etwas Peppiges spielen zw. singen. Nicht eine langsame Ballade.

Aber da kann man nichts machen; Sonja ist so etwas wie unsere inoffizielle Bandleaderin, und deshalb gehorchen wir ihr, wenn auch mit Murren und Knurren. Lex steht nur in einer Ecke und hört zu, während wir proben, ihr Gesicht eine unnahbare Maske, welche nicht erkennen lässt, was in dem Mädchen vorgeht.

Black sunshine, burning holes in her skin

Without any warmth, just the cold feel of death

There's no chance to fight, she can never win

She's helpless, she's hopeless, she's caught in his wrath

What has she done to earn such a fate?

She was like the others, so carefree and young

Now she has aged, disappeared, it's too late

And it's all the fault of a single cruel man

Feel the sun, burning with black light

Into your soul, your heart, your dreams

Black sunshine, cruel, it's useless to fight

When the black shines, nothing is as it seems

Fortsetzung folgt...